In einem Interview mit der serbischsprachigen Tageszeitung Vesti habe ich aufgezeigt, dass die Bundesregierung leider keine produktive Rolle in der Kosovo-Frage spielt und lediglich ihre eigenen Interessen auf dem Balkan verfolgt. Es ist klar: Deutschland hat in den vergangenen 30 Jahren eine destruktive Rolle im vormaligen Jugoslawien gespielt, diesbezüglich gibt es viel aufzuarbeiten. Aber stattdessen mauert die Bundesregierung weiter: Auf meine Frage, inwiefern der Bundesregierung bekannt ist, ob deutsche Soldaten als Freiwillige in den 1990er Jahren am Krieg im ehemaligen Jugoslawien teilgenommen haben, bat die Regierung um eine Fristverlängerung von einem Tag und dann beantwortete sie die Frage auch nicht innerhalb der neuen Frist. Und das alles, um am Ende zu schreiben: „Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor“! Die Hinhaltetaktik und das vorgespielte Unwissen der Bundesregierung sind ein Skandal. Die Opposition kann die Regierung nicht kontrollieren, wenn diese nicht ehrlich antwortet!
Hier ist die vollständige Übersetzung meines Interviews:
In einem Interview mit “Vesti” wies Zaklin Nastic, Abgeordnete der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, darauf hin, dass die deutsche Regierung nicht an einer Lösung der Kosovo-Frage interessiert ist und nur ihre eigenen Interessen auf dem Balkan verfolgt. Sie spricht auch über eine aktuelle Frage an die Bundesregierung zur Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an den Kriegen in Jugoslawien in den 1990er Jahren.
1. Wie kommentieren Sie die Aussagen der beschuldigten Führer des Kosovo, vor allem Hashim Thaçi und anderer UÇK-Führer, dass diese bewaffnete Organisation zusammen mit den USA, der NATO und der EU den Staat Kosovo geschaffen hat?
Ausnahmsweise gebe ich Herrn Thaçi bei dieser einen Sache Recht. Die EU-Länder und die USA – also zusammen genommen die NATO – haben Jugoslawien bombardiert und die UÇK diente ihnen dabei als Bodentruppe. Nach der völkerrechtswidrigen Bombardierung marschierten die NATO-Armeen ein und belohnten die UÇK, indem sie ihre Führer nicht etwa wegen Verbrechen und Kriegsverbrechen verfolgten, sondern ihnen einen Parastaat schufen und der UÇK übergaben. Die Ermittlungen gegen Thaçi und andere UÇK-Führer jetzt sind gut und richtig – kommen leider viel zu spät.
2. Wie sehen Sie die Beteiligung Deutschlands als wichtiges europäisches Land am Kampf um die Unabhängigkeit des Kosovo?
Deutschland hatte von Anfang an eine unrühmliche Rolle bei der Zerschlagung Jugoslawiens gespielt. Bereits 1991 erkannte die damalige Bundesregierung die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens an, obwohl damals die westlichen Partner davor warnten. Es kam wie befürchtet: In der Krajina und in Bosnien-Herzegowina begann der Bürgerkrieg. Als diese Auseinandersetzungen 1995 endlich endeten, verstärkte Deutschland seine Bemühungen über Albanien, im Kosovo Unruhe zu stiften. Deutsche Technik landete damals bei der UÇK und der deutsche Auslandsgeheimdienst BND half bei der Ausbildung der UÇK. Als der Bürgerkrieg in Kosovo und Metochien damals eskalierte, griffen die NATO-Staaten völkerrechtswidrig Jugoslawien an und besetzten danach die Region. Deutschland war dann 2008 eines der ersten Länder, welches dann die – unter anderem von deutschen Truppen – besetzte selbst-erklärte Republik Kosovo als unabhängig anerkannte. Deutschland hat in den vergangenen 30 Jahren eine destruktive Rolle im vormaligen Jugoslawien gespielt, diesbezüglich gibt es viel aufzuarbeiten.
3. Sie erinnerten dieser Tage dass die deutsche Regierung die Antwort verzögert auf die Frage ob deutsche Soldaten als Freiwillige in den 1990er Jahren am Krieg im ehemaligen Jugoslawien teilgenommen haben? Haben Soldaten der Bundeswehr Anfang der neunziger Jahre auf den Schlachtfeldern im ehemaligen Jugoslawien Kriegserfahrung gesammelt?
Das ist eine sehr gute Frage – das würde ich auch gerne wissen. Vor ein paar Wochen erschien ein Buch eines bundeswehrnahen Professors, in dem er davon schreibt, dass Bundeswehrsoldaten Anfang der 1990er Jahre „insbesondere aus den Garnisonen in Süddeutschland als Freiwillige im jugoslawischen Bürgerkrieg“ dienten. Diese fuhren nämlich „auf ein verlängertes Wochenende oder im Urlaub an die Front“, um dort „Kampferfahrung zu sammeln“, wie es eine große deutsche Zeitung berichtete. Wenn das stimmt, dann dienten aktive deutsche Soldaten illegal auf dem Territorium eines anderen europäischen Staates, Jugoslawien. Der Professor betreut sogar eine Doktorarbeit zu dem Thema „Kriegsfreiwillige in den Jugoslawienkriegen der 1990er Jahre“. Ich stellte wegen dieser Enthüllung eine Frage zu dem Thema an die Bundesregierung, wie viele solcher Fälle der Bundesregierung bekannt seien und wie viele disziplinarrechtliche Verfahren deswegen eingeleitet wurden. Fragen solcher Art sind ein wichtiges Kontrollinstrument der Opposition im Bundestag – wenn die Bundesregierung sie denn ordentlich beantworten würde. Erst bat die Regierung um eine Fristverlängerung von einem Tag und dann beantwortete sie die Frage auch nicht innerhalb der neuen Frist. Und das alles, um am Ende zu schreiben: „Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor“! Die Hinhaltetaktik und das vorgespielte Unwissen der Bundesregierung sind ein Skandal. Die Opposition kann die Regierung nicht kontrollieren, wenn diese nicht ehrlich antwortet!
4. Wie sehen Sie die Zukunft des Dialogs zwischen Belgrad und Priština und die Rolle Deutschlands in diesem Prozess? Wie stark beeinflusst Deutschland die Position Brüssels und vor allem Miroslav Lajčák und worauf wird Deutschland als eine der mächtigsten EU-Kräfte bestehen?
Deutschland spielt in diesem Dialog keine produktive Rolle. Berlin will, dass Serbien die Unabhängigkeit des Kosovos anerkennt und die von Priština beanspruchten Außengrenzen durchgesetzt werden. Als sich die Regierungen in Belgrad und Priština einig schienen, dass man einen Gebietstausch machen könnte, lehnte Berlin das ab. Es geht der Bundesregierung nicht um eine Lösung des Konflikts, sondern um die Durchsetzung eigener Ziele. In der EU spielt Deutschland die wichtigste Rolle in der Kosovo-Frage. Frankreich und Spanien haben hingegen ihre Truppen von dort abgezogen.
Von Herrn Lajčák braucht man nicht zu erwarten, dass er sich gegen deutsche Ziele auf dem Balkan aussprechen würde. Der Slowake hat eine Fortbildung im George C. Marshall-Europazentrum für Sicherheitsstudien in Süddeutschland absolviert und bekleidet Posten beim German Marshall Fund und der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung. Er ist ein Mann der deutschen Regierung.
5. Stärkt Bidens Sieg die Position Deutschlands bei der Erzielung einer endgültigen Einigung? Wird sich nach Trump die Politik der USA gegenüber Serbien andern?
Der gewählte US-Präsident gilt in den Vereinigten Staaten als Balkanexperte, da er in den 1990er Jahren alle militärischen Interventionen der USA auf dem Balkan unterstützt hat. Sein Eintreten für diese Politik nannte er einmal den „stolzesten Moment seines Lebens“. Nach Joe Bidens verstorbenem Sohn Beau Biden ist sogar eine Schnellstraße im Kosovo benannt. Mit dem neuen US-Präsidenten kehren wir aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer US-Politik zurück, die mit der unter Clinton und Obama vergleichbar ist. Das bedeutet, dass kein Problem vor Ort gelöst wird, sondern nur die US-Truppen dort lange stationiert bleiben werden.
6. Kann Serbien erwarten, dass Deutschland im Interesse einer endgültigen Einigung auch die serbischen Interessen berücksichtigen und eine Kompromisslösung für das Kosovo und Metohija unterstützen könnte?
Ich bin fest überzeugt davon, dass Serbien auf keine Unterstützung aus Berlin setzen kann. Die deutschen Regierungen der vergangenen dreißig Jahre haben jede Grenzänderung zulasten Jugoslawiens und Serbiens unterstützt und jede mögliche Grenzänderung zugunsten Serbiens abgelehnt. Egal ob bei der Frage der Republika Srpska oder dem Nordkosovo. Die Bundesregierung scheint zufrieden, wie die Lage jetzt auf dem Balkan ist und ist nicht kompromissbereit – selbst wenn die Regierungen in Belgrad und Priština sich einigen würden.
Es ist dringend an der Zeit, dass begangene Morde, Verfolgung und Folter der Jugoslawienkrieg und der Zeit danach endlich aufgearbeitet und geahndet werden. Dass der kosovarische Präsident Hashim Thaçi wegen der gegen ihn bestätigten Anzeige wegen Kriegsverbrechen die längst überfällige Konsequenz seines Rücktritts gezogen hat, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Hunderte Kosovo-Albaner, Serben, Roma und Angehörige anderer ethnischer Gruppen sowie politische Gegner gehören der Anklage zufolge zu den Todesopfern Thaçis und weiterer hochrangiger, ebenfalls angeklagter Mitstreiter. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer der Opfer noch weit höher liegt. Hinzu kommen Folterungen, Verstümmelungen und andere Formen von Gewalt.
Die Anklage wegen einer drohenden innenpolitischen Krise verhindern zu wollen, wie es manche auch im politischen Berlin fordern, wäre ein Vergehen an all denen, die größtes Leid erfahren mussten. Es ist richtig, Kriegsverbrecher aus dem ehemaligen Jugoslawien nicht mehr nur auf einer Seite der Konfliktlinie zu verfolgen. Dies wäre ein kleiner Beitrag zu Gerechtigkeit und Versöhnung.