Persönliches: 29 Jahre in Deutschland
Heute vor 29 Jahren sind wir, meine Mutter und ich (damals hieß ich noch Grinholc) nach Deutschland aufgebrochen. In einer politisch durchaus turbulenten Zeit – der Eiserne Vorhang fiel. Nach zwei Jahren habe ich meinen Vater und kleinen Bruder wieder gesehen. Es war ein Aufbruch in eine neue unbekannte Welt. Meinen kleinen Bruder kannte und erkannte ich nicht mehr wirklich – er mich wahrscheinlich auch nicht. Wer hätte auch geahnt, dass die Familienzusammenführung so lange dauert. Ich werde nie vergessen, kurz vor der Autobahnausfahrt nach Hamburg,winkte mir groß und beleuchtet der Marlboro Man – für mich Sinnbild des Kapitalismus damals. Gross, grell, unübersehbar Werbung zum Rauchen und das obwohl es eigentlich tödlich ist.
Ich gebe zu die ersten anderthalb Jahre waren hart für mich. In der Schule, in der wir nur als Flüchtlings bzw. Spätaussiedler Kinder untereinander waren fühlte ich mich überwiegend wohl. Die ständigen Wohnortswechsel entfand ich allerdings als sehr unangenehm. Die Erstaufnahme in Friedland blieb mir erspart, aber dannach ging es von einem Schiff aufs andere. Die Bibbi Altona, auf der wir nur kurz verweilen mussten, war mit ihrer Gittertreppen über dem Wasser eine Katastrophe, weil ich Höhenangst habe. Das Schiff Marco Polo aus dem noch existierenden Jugoslawien war eine Zumutung. Dort waren wir in einer Minikabine mit fremden Frauen und Männer untergebracht. Damals hatten wir jedoch Glück. Es herrschte noch keine so ausgeprägte Wohnungsnot. Wir bekamen eine Wohnung in Lurup/Osdorf, wo ich bis Mitte zwanzig auch gelebt habe.
Der Übergang in die deutsche Schule fiel mir sehr schwer. Ich kannte die Diskussionen um Kleidung und Marken nicht und dass andere wegen Armut gehänselt wurden war ich nicht gewohnt. Allerdings muss ich sagen, dass mich dass selbst nicht getroffen hat. Ich habe nur einige Monate in der 4. Klasse verbracht. Dann bin ich auf Initiative meiner Lehrerin auf die Gesamtschule gekommen und nicht, wie viele andere aufgrund von Sprachmangel auf die Hauptschule. Dort wurde ich auch nicht zurückgestuft. Seit der neuen Einschulung habe ich mich Schritt für Schritt eingelebt, Freunde gefunden, mein Abi 2000 gemacht. Wir waren überwiegend Kinder aus einem sozialen Brennpunkt. Ich wohnte direkt neben meiner Schule. Es war ein aufwachsen mit Gewalterfahrungen, zum Teil gab es Schlägereien, Messerstechereien und sogar Schießereien – das sogenannte ‚Abziehen‘ war nicht unüblich. Nichtsdestotrotz habe ich dort gerne gelebt. Es ist Teil meiner Biografie und Erfahrungen geworden. Wir unterschieden damals nicht woher man kam. Wir waren Kinder von Migrantinnen und Deutschen mit vielen verschiedenen Problemen und Erfahrungen. Eines hatten wir gemeinsam – wir kannten Ausgrenzung und Rassismus. Auch wurde wegen der sozialen Herkunft ausgegrenzt. Allein unser Wohnort war keine Visitenkarte.
Deutschland und Osdorf wurden mein zu Hause, das ist gut so. Polen ist und bleibt meine Heimat.
Ich bin dankbar, dass ich hier in Frieden leben kann. Irgendwann entschied ich mich nicht nur das Wahlrecht zu nutzen, sonder mich für eine friedlichere und gerechtere Welt selbst einzusetzen. Auch weil Kinder nicht aufgrund ihrer Herkunft, ob migrantisch oder nicht, Ausgrenzung und Rassismus erfahren sollten. Jeder und jede ist eine Bereicherung für unsere Welt! So sollte Politik und Gesellschaft mit Kindern umgehen – keine Bevorzugung aber Chancengleichheit.