Es war mehr als ein Krieg: vor, während und nach dem israelischen „Unabhängigkeitskrieg“ wurden Zwangsräumungen palästinensischer Häuser durchgeführt, Dörfer und Wohngebiete belagert, Häuser mitsamt des Habs und Guts niedergebrannt und Trümmer vermint, damit die Besitzer nie mehr zurückkehren würden. Fast 800.000 Menschen wurden während der palästinensischen „Nakba“ vertrieben, 531 palästinensische Dörfer zerstört und elf Stadtteile komplett entvölkert.
Auch in den folgenden Jahrzehnten, insbesondere nach dem Sechs-Tage Krieg von 1967, ging der Landraub weiter. Mit der Übernahme zehntausender Geschäfte, landwirtschaftlicher Betriebe, Wohnhäuser, Felder und ganzer Ortschaften wurden unumkehrbare Fakten geschaffen. Der Entzug von „Aufenthaltsrechten“, der Bau einer „Sperranlage“ sowie von Wohneinheiten für 750.000 Siedler*innen mitten auf palästinensischem Gebiet haben ihr Übriges getan. Nachdem vor der Gründung des Staates Israel 87% des damaligen britischen Mandatsgebiets in der Hand der arabischen Bevölkerung war, sind es heute höchstens noch 15%. Auch die palästinensische Bevölkerung innerhalb des israelischen „Kernlandes“ hat über die Hälfte ihres Landbesitzes verloren.
Über 70 Jahre nach der palästinensischen „Nakba“ gehen seit Wochen Palästinenser*innen auf die Straße, um gegen die drohende Enteignung zahlreicher Wohnhäuser, u.a. in Scheich Jarrah in Ostjerusalem, zu protestieren. Die Enteignung palästinensischer Hausbesitzer beruht auf einem Gesetz, nach dem jüdische Israelis Besitzanspruch auf Häuser anmelden können, die vor 1948 jüdischen Familien gehörten. Für aus ihrem Eigentum vertriebene Palästinenser gilt dieses Gesetz hingegen nicht.
Gewaltsam gehen israelische Sicherheitskräfte gegen die Demonstrierenden und ihre heiligen Stätten vor. Eine verzweifelte, traumatisierte Bevölkerung fühlt sich im Stich gelassen von der so genannten internationalen Gemeinschaft, die den Konflikt mit Waffenlieferungen seit Jahrzehnten anheizt.
Der aktuelle Krieg ist mehr als eine israelische Reaktion auf die aus dem Gazastreifen abgefeuerten Raketen, wie deutsche Medien suggerieren. Er wurde ausgelöst durch die für Palästinenser alltäglichen, momentan aber in Scheich Jarrah akuten, Zerstörungen palästinensischer Häuser, die Teil einer jahrzehntelangen Besatzungs- und Vertreibungspolitik sind. Er ist Resultat zerstörter Hoffnung, tagtäglicher Erniedrigungen und Gewalt. Eine einseitige Verurteilung der Palästinenser*innen ist nicht nur falsch, sie verhindert auch eine friedliche Lösung.
Die Gewalt muss sofort beendet werden! Es braucht einen Stopp der Vertreibungs-und Annexionspolitik, des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus, von Entwürdigung und Entrechtung. Der Beschuss ziviler Ziele darf nicht fortgeführt werden, stattdessen braucht es eine sofortige Wiederaufnahme der Verhandlungen auf Augenhöhe.